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Sichere Bindung im Alltag. Warum Trennungen so schwer sind und wie du dein Vorschul- oder Grundschulkind wirklich begleiten kannst

Emotionale Entwicklung & Gefühlsbegleitung, Schemapädagogik, Überforderung bei Eltern, Vorschule | 0 Kommentare

Geschrieben von Ella

18. November 2025

Der Morgen beginnt eigentlich gut. Dein Kind (6) sitzt noch im Schlafanzug am Küchentisch, die Beine baumeln im Takt eines Liedes, das nur in seinem Kopf existiert. Du machst Kaffee, suchst gleichzeitig nach dem fehlenden Hausschuh und erinnerst dich daran, dass heute noch ein Elternbrief abgegeben werden muss. Alles wirkt friedlich, bis du den einen Satz sagst, der den ganzen Morgen kippen kann: „Wir müssen los.“

In dem Moment verändert sich etwas. Die Beine hören auf zu baumeln. Die Augen werden groß. Dein Kind rutscht vom Stuhl, läuft zu dir und klammert sich an dein Bein, als würdest du gleich für drei Monate verreisen. „Ich will nicht! Ich will NICHT in die Schule! Bitte bleib bei mir!“, ruft es, und du spürst, wie sich dein Magen zusammenzieht. Du wolltest eigentlich nur einen Schluck Kaffee trinken, doch plötzlich stehst du mitten in einer emotionalen Sturmflut.

Solche Szenen begegnen mir ständig im Gespräch mit anderen Müttern. Sie berichten, dass sie jeden Morgen kämpfen – nicht mit ihrem Kind, sondern mit der Situation. Viele fühlen sich hilflos, schuldig oder sogar überfordert. Und oft denken sie: „Andere schaffen das doch auch. Warum ist es bei uns so schwer?“ Die Wahrheit ist: Es ist nicht schwer, weil du etwas falsch machst. Es ist schwer, weil Trennungen für Kinder in diesem Alter echte Herausforderungen sind.

Warum Trennungen so große Gefühle auslösen

Vorschul- und Grundschulkinder sind emotionale Schwämme. Sie wirken groß, können sich teilweise schon erstaunlich gut ausdrücken und haben Momente, in denen sie fast wie kleine Erwachsene auftreten. Aber innerlich? Da steckt ein Nervensystem, das noch im Aufbau ist. Ein System, das Sicherheit nicht durch Logik erlebt, sondern durch Nähe.

Wenn dein Kind weint, klammert, „geh nicht“ sagt oder plötzlich Bauchweh hat, dann passiert etwas sehr Natürliches: Das Bindungssystem wird aktiviert. Trennungen – und sei es nur für ein paar Stunden – fühlen sich dann wie kleine innere Erdbeben an. Nicht, weil dein Kind nicht weiß, dass du zurückkommst, sondern weil der Körper das Wissen noch nicht fühlt.

Viele Eltern machen sich Sorgen, ihr Kind wäre zu anhänglich, zu sensibel oder zu unsicher. Doch Bindungsforschung zeigt eindeutig: Kinder, die bei Abschieden große Gefühle zeigen, sind nicht unsicher gebunden. Sie sind verbunden.

Was sichere Bindung wirklich bedeutet

Bindung wird oft missverstanden. Viele glauben, ein sicher gebundenes Kind müsse ruhig und gelassen Abschied nehmen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Ein Kind mit sicherer Bindung zeigt Gefühle – weil es weiß, dass es damit nicht alleine bleibt.

Sichere Bindung bedeutet nicht, dass dein Kind immer stark wirkt. Sie bedeutet, dass dein Kind sich traut, schwach zu wirken.

Und genau deshalb sind besonders die Übergänge intensiver: Kita-Tür, Klassentür, Turnhalle, Hort. An solchen Orten entscheidet das innere Sicherheitssystem: „Brauche ich gerade Nähe oder kann ich loslassen?“ Wenn dein Kind Nähe sucht, ist das kein Rückschritt. Es ist Bindung in Action.

Warum DU in diesen Momenten so viel fühlst

Das Schwierigste an Trennungssituationen ist selten das Verhalten des Kindes – es ist das, was sie in dir auslösen. Vielleicht fühlst du Stress, weil du zur Arbeit musst. Vielleicht Schuld, weil du glaubst, etwas falsch zu machen. Vielleicht Scham, weil andere Eltern „es besser im Griff haben“. Oder vielleicht spürst du deinen eigenen alten Schmerz, der wach wird, wenn du ein klammerndes Kind im Arm hältst.

Viele Mütter berichten, dass sich morgens im Flur oder im Auto eine Mischung aus Ohnmacht und Verantwortung breitmacht. Es fühlt sich an, als müsstest du gleichzeitig stark und einfühlsam sein – während dein eigener Akku noch gar nicht geladen ist. Diese Momente sind extrem herausfordernd, weil zwei Nervensysteme gleichzeitig im Stress sind: das deines Kindes und dein eigenes.

Wie du Trennungen leichter machen kannst

Es gibt kein magisches Ritual, das jede Szene sofort auflöst. Aber es gibt ein paar einfache, wirksame Schritte, die helfen – nicht nur deinem Kind, sondern auch dir selbst.

  1. Atme zuerst selbst

Bevor du etwas sagst, atme einmal bewusst aus. Dein Kind spürt deinen Zustand mehr als deine Worte.

  1. Benenne das Gefühl deines Kindes

„Das ist gerade schwer für dich.“

Dieser Satz öffnet die Tür zu Verbindung.

  1. Bleib klar – ohne kalt zu werden

„Wir müssen los, und ich bin bei dir.“

Diese Mischung ist Gold wert.

  1. Halte den Abschied kurz

Ein langer, tränenreicher Abschied zieht die Angst in die Länge. Kurz bedeutet nicht hart – kurz bedeutet: Halt geben.

  1. Gib vorher Orientierung

„Ich hole dich nach dem Essen ab.“ Für Kinder ist Klarheit entlastend.

  1. Schaffe kleine Rituale

Ein Herz auf die Hand malen, ein goodbye-squeeze, eine Umarmung – Rituale sind wie emotionale Brücken.

Warum Trennungen oft bei Kindern stärker wirken als bei dir

In Elternforen schreiben Mütter oft: „Zu Hause ist alles gut. Aber sobald wir bei der Schule ankommen, wird mein Kind panisch.“ Das liegt daran, dass der Übergang ein Moment voller Unsicherheit ist. Räume, Geräusche, Menschen – alles verändert sich. Kinder spüren instinktiv, dass sie einen Schritt aus der Komfortzone machen. Und genau dann brauchen sie die emotionale Sicherheit der Bindung besonders stark.

Warum Loslassen ein Teil von Bindung ist

Es fühlt sich manchmal an, als müsste man sich zwischen Nähe und Selbstständigkeit entscheiden. Aber das stimmt nicht. Selbstständigkeit wächst aus Bindung. Je sicherer ein Kind weiß, dass du da bist, desto leichter kann es loslassen.

Loslassen heißt nicht, dein Kind allein zu lassen. Loslassen heißt: Du traust ihm etwas zu – und bleibst emotional erreichbar.

Bindung ist kein schönes Gefühl. Bindung ist ein Prozess.

Es geht nicht darum, jeden Abschied perfekt zu meistern. Es geht darum, dein Kind durch die großen Gefühle zu begleiten, ohne dich selbst zu verlieren. Und in all den chaotischen, tränenreichen, lauten Flur-Szenen steckt etwas sehr Wertvolles: Dein Kind zeigt dir, dass du sein sicherer Ort bist. Und das ist das größte Kompliment, das dir ein Mensch machen kann.

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Wir alle kenne das… die Kinder sind quengelig, der Tag war lang und der Frust wird immer größer. Das Gefühl „ich habe keine Zeit mehr für mich?“ und „wer bin ich überhaupt?“ werden immer größer. Was mir geholfen hat, war mein eigenen Blick von außen. Das reflektieren unserer Zeit und damit auch das auffinden von mehr Zeit für mich (und das mit drei Kindern).

Geholfen hat mir Diplom Psychologin und Mama-Coach Sabine Machowski. In ihrem kostenfreien Workbook findest du zahlreiche Hilfestellungen um endlich nicht mehr „nur“ Mutter zu sein. Schnapp es dir, so lange sie es noch kostenfrei anbietet.